Ravensberger Spinnerei AG

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Im April 1855 war Baubeginn für das Unternehmen, das wie kein anderes das Industriezeitalter in Bielefeld einläutete. Auf einem Gelände vor den Toren Bielefelds entstanden auf dem Areal des ehemaligen „Fabriquenhofes“ und des Meinderschen Gartens Fabrikanlagen, die im späten 19. Jh. bis zu 1700 Arbeitskräften beschäftigen und eine der größten Flachsspinnereien Europas werden sollten. Nachdem 1971 der Betrieb dort eingestellt wurde, rettete eine breite Bürgerinitiative in jahrelangem Kampf das „Fabrikschloss“ vor dem Abriss und die Parkanlage vor der Zerstörung. Das gesamte 1,6 Hektar große denkmalgeschützte Areal bildet heute den Ravensberger Park sowie den Rochdale-Park.

Das Hauptgebäude der Ravensberger Spinnerei vom Rochdale-Park aus gesehen; Foto: Buchwald

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Die Gründung der Aktiengesellschaft 1854

Lange hatten die Handspinner im Großraum Bielefeld gegen die 1820 in England einsetzende Mechanisierung des Spinnens angekämpft. Durch die Konkurrenz des weit billigeren englischen Maschinengarns gerieten sie in große Not. 1850 erhielt der Leinenkaufmann Gustav Delius sogar einen anonymen Drohbrief, mehrere Weber und Spinner hätten den geheimen Entschluss gefasst, Delius „Entweder Todt zu Schießen oder ganz mörderlich zu behandeln“, wenn er von den Gedanken an die „Maschienerei“ nicht ablasse. Doch auch manch alteingesessener Leinenkaufmann hegte Zweifel, ob die Verwendung von Maschinengarn dem guten Ruf des Bielefelder Leinens nicht schadete. So waren es „Zugezogene“, die Brüder Carl und Theodor Bozi, die 1850 zwischen Bielefeld und Brackwede mit der Spinnerei Vorwärts die erste mechanische Spinnerei Bielefelds gründeten.

Daraufhin richtete der Bielefelder Frühsozialist und Kaufmann Rudolf Rempel am 8. März 1850 in seiner Zeitung Volksfreund das Wort an die revoltierenden Handspinner: „Die Tatsache steht fest, daß heute mehr als die Hälfte aller hier verbrauchten Kettengarne mit englischen und belgischen Maschinen gesponnen werden. […] Warum sollen wir denn unter diesen Umständen der Anlegung einer Spinnmaschine uns hier widersetzen? Sollen wir etwa nach wie vor unser schweres Geld nach Belgien und England schicken […], während bei uns die Leute darben? Oder tun wir nicht besser, die Garne, die wir hier gebrauchen, auch hier spinnen zu lassen und dadurch ca. 400 bis 500 Familien einen reichlichen Broterwerb zu verschaffen? […] Seht, ich bin mit Euch darin ganz einig, daß es anders, daß es besser mit Euch werden muß. Das könnt Ihr aber nicht dadurch erreichen, daß Ihr eine Spinnmaschine entzweischlagt und Euch dafür zusammenschießen lasst.“

Aufruf zur Beteiligung an der Aktiengesellschaft „Ravensberger Spinnerei“ vom 6. November 1854; Stadtarchiv Bielefeld

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„Spät kommt ihr, doch ihr kommt.” (Handelskammer 1854)

Im November 1854 schlossen sich die renommierten Bielefelder Leinenkaufleute Hermann Delius, A.W. Kisker, Theodor und Christian Tiemann, Friedrich Wilhelm Krönig, Heinrich Gassel, E.A. Wittgenstein u.a. zu einer Aktiengesellschaft für die Einrichtung einer mechanischen Spinnerei zusammen. Das Gründungskomitee beauftragte Ferdinand Kaselowsky (1816–1877) mit der Planung und Durchführung des Baus. Der umtriebige Ingenieur, Stipendiat des preußischen Staates und Absolvent des Berliner Gewerbeinstituts hatte bereits in Großbritannien, Österreich und Schlesien einschlägige Erfahrungen gesammelt und mehrere größere Spinnereibetriebe eingerichtet. Für das Gründungskomitee war er der geeignete Mann, ein ganzes Fabrikareal zu konzipieren. Nach eigenen Angaben war er 1854 mit bereits fertigen Plänen für die Fabrikanlage aus England zurückgekehrt, die nur noch dem Grundstück anzupassen waren. Bis 1871 war er auch der erste technische Direktor der Ravensberger Spinnerei.

Ferdinand Kaselowsky, erster technischer Direktor der Ravensberger Spinnerei; Foto: Stadtarchiv Bielefeld

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Fabrikengarten

Die Wahl für den Standort der neuen Spinnerei fiel auf den ehemaligen „Fabriquengarten“, ein Gelände im spitzen Winkel zwischen dem Weg nach Heepen und der Bleichstraße, das östlich an die 1792 eingerichtete „Neue Holländische Bleiche“ grenzte. Der durchfließende Seifenbach sollte der Wassergewinnung für die Dampfmaschinen dienen. Der westliche Teil war als „Meinderscher Garten“ bekannt, denn hier hatte um 1690 der Amtskammerrat Arnold Heinrich Meinders ein Landgut mit vielbewundertem Lustgarten im französischen Stil angelegt.

Meinders Garten auf einer Karte des 17. Jhs.; Stadtarchiv Bielefeld

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Auf dem ehemaligen Meinderschen Besitz hatten Ende des 18. Jhs. auf Initiative von Stadtdirektor Florens Consbruch auch die ersten Versuche der Bielefelder Kaufmannschaft mit der Einrichtung eines „Fabriquenhofes“ stattgefunden: 1781/82 gründeten mehrere Leinenkaufleute als Interessensgemeinschaft eine Seifensiederei, 1782 im alten Hauptgebäude des Meindershofs eine Damast-Manufaktur mit zwölf Handwebstühlen. Der gleiche Personenkreis hatte schließlich 1792 durch Erwerb von Grund östlich des Fabrikengartens die „Neue Holländische Bleiche“ gegründet, die 1806 um weitere Grundstücke nach Osten erweitert wurde, trug doch das Bleichen nach holländischer Art ganz maßgeblich zur Attraktivität des „besonders weißen“ Bielefelder Leinens bei. 1839 pachtete schließlich der Industriepionier Heinrich Gassel mit seinem Kompagnon Friedrich Veerhoff die „Neue Holländische Bleiche“.

Seifenfabrik, Damast-Weberei und Neue Holländische Bleiche; Stadtarchiv Bielefeld

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Die Ravensberger Spinnerei

Baubeginn war im April 1855. „Am 15. Januar 1857, 5 Minuten vor ½ 6 Uhr abends, ging die große Maschine der Ravensberger Spinnerei in Bielefeld zum 1ten Mal”, notierte Ferdinand Kaselowsky in seinem Tagebuch. Am 30. Januar 1857 wurde die Eröffnung der Fabrik als gesellschaftliches Großereignis gefeiert. So schrieb Friedrich Wilhelm Möller, Mitglied des Gründungskomitees, an seinen Sohn: „Herr Commissionsrath Kaselowsky führte uns durch alle Räume der Spinnerei, wo die musterhafteste Ordnung herrschte. Wir durchwanderten das Flachsmagazin und lernte dort die vielerlei Sorten Flachs und Heede, nicht allein unserer Umgebung, sondern aus vielen anderen Ländern Deutschlands, aus Belgien, Holland, Rußland etc. kennen; dann besahen wir die Feuerungsräume, wobei die allerneuesten Erfindungen angebracht waren, vorzüglich bei den Vorwärmern und an dem Schornsteine, dessen Rauch wieder zurückgeführt wird, um nochmals verbrannt zu werden und trotz der ungeheuren Masse von verbrannten Kohlen fast unsichtbar aus dem Schornstein steigt.

Situationsplan der Ravensberger Spinnerei von 1875; Stadtarchiv Bielefeld

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Hierauf besichtigten wir die Holz- und Eisendrechseleien nebst Bohrmaschinen, womit die noch fehlenden Maschinentheile, namentlich die Spindeln verfertigt werden, und diese Maschinen arbeiteten mit einer musterhaften Genauigkeit und Leichtigkeit. Darauf besahen wir die verschiedenen Flachsvorbereitungsmaschinen, als die Flachsschwingerei, Hechelei, Carderie, Schneiderei etc., alles durch die Dampfmaschine in Bewegung gesetzt. / Darauf nahmen wir die allgemein bewunderte große Dampfmaschine von 250 Pferde Kraft in Augenschein, deren Gang ausgezeichnet ist und die ihresgleichen in Deutschland suchen wird. Zuletzt begaben wir uns die Spinn- und Haspelsäle selbst, wo schon ca. 5000 Spindeln aufgestellt und bereits 1100 in den Gang gesetzt waren; wir konnten uns davon lange nicht trennen, um die verschiedenen Manipulationen kennen zu lernen.”

Die Ravensberger Spinnerei auf einem Stich von 1870; Stadtarchiv Bielefeld

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Fabrik-Regelement und soziale Einrichtungen

Die Fabrikordnung von 1856 war äußerst streng und nicht unbedingt dazu angetan, den an ihre selbständigen Heimarbeitsplätze auf dem Lande gewöhnten Handspinnern große Anreize zu bieten. Sie sah folgende Arbeitszeiten vor: „Die Arbeit beginnt an jedem Tage, außer an den Sonntagen und den gesetzlichen Feiertagen, des Sommers 5 ½ Uhr, des Winters früh 6 Uhr, und dauert mit Ausnahme von ½ Stunde Frühstückszeit, 1 Stunde Mittagsruhe (12 bis 1 Uhr) im Sommer bis Abends 7 Uhr, im Winter bis Abends 7 ½ Uhr, also volle 12 Stunden, und ist es den Arbeitern nicht gestattet, sich innerhalb dieser Zeit ohne Erlaubnis zu entfernen.“

Dauerhaft gleichbleibende Qualität der Erzeugnisse und bessere Konkurrenzfähigkeit auf dem überregionalen Markt hatten als Motivation hinter der Gründung der Ravensberger Spinnerei gestanden. Hingegen erfüllte sich die Vorstellung, durch die Einrichtung einer Fabrik „den notleidenden Klassen den Übergang von der selbständigen Spinnerei zur Fabrikarbeit und zu anderen Erwerbszweigen zu erleichtern“, nur bedingt. Die schwierigen Arbeitsbedingungen, das strenge „Fabrikreglement“ und die im Vergleich zur aufstrebenden Metallindustrie deutlich geringere Bezahlung lockten die Landbevölkerung nur, wenn sich gar keine Alternative fand. So mussten von Beginn an Arbeitskräfte aus anderen Regionen angeworben werden. Um diesen auch Wohnraum zu schaffen, erwarb die Ravensberger Spinnerei AG 1856 jenseits der Heeper Chausee Grundstücke für Arbeiterwohnhäuser. Später wurden auch an der Hermann-Delius-Straße Wohnhäuser für die Beschäftigten erbaut.

Arbeiterwohnhaus an der Hermann-Delius-Str. 16, 1973; Foto: Stadtarchiv Bielefeld

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Auch bemühte sich die Ravensberger Spinnerei AG sehr um soziale Einrichtungen für ihre Beschäftigten. Zu den sozialen Errungenschaften gehörten: Die Gründung einer Arbeiter- und lnvaliden-Kasse für männliche Arbeiter und einer „Mädchen-Aussteuer-Casse“ 1862 sowie einer Pensionskasse für alte und verdiente Mitarbeiter 1863; die Gründung eines betriebseigenen Markenkonsums 1865; der Bau eines schön gelegenen Speisehauses für bis zu 180 Personen an der Westspitze des Spinnereigeländes um 1865; die Beteiligung an der Bielefelder Gemeinnützigen Baugesellschaft sowie der Aufbau einer Strick- und Nähschule für erwachsene Mädchen und die Errichtung einer Fabrikschule für halbtags beschäftigte Kinder 1867; schließlich der Bau des Kost- und Logierhauses für Mädchen 1870/71 sowie eines Brausebads für etwa 20 Beschäftigte. Solche Maßnahmen machten die Ravensberger Spinnerei zu einem der fortschrittlichsten Betriebe im deutschen Reich.

Aufstieg und Wachstum

Zur Entwicklung der Industriestadt Bielefeld leistete die Ravensberger Spinnerei einen nicht zu überschätzenden Beitrag, war doch auch die Ansiedelung der Folgeindustrien (Textilveredelung, Wäschefabriken, Maschinenbau- und Nähmaschinenindustrie) letztlich ihrer Einrichtung zu verdanken. Im Durchschnitt bot sie 1500 Beschäftigten Arbeit und brachte in der Frühphase allein zehn Prozent der kommunalen Steuern auf. Auch ermöglichte sie dem Magistrat der Stadt die Errichtung der städtischen Gasanstalt, indem sie sich bereits 1855 dazu verpflichtete, 200 Flammen abzunehmen. So konnte Möller über die Einweihung der Spinnerei im Januar 1857 stolz vermelden: „Abends war uns zu Ehren die Spinnerei aufs Brillanteste mit Gas erleuchtet, so daß es auf dem Bielefelder Wall ganz hell wurde.”

In den 1860er Jahren stieg die Ravensberger Spinnerei zur bedeutendsten Flachsgarnspinnerei Deutschlands und zum größten Arbeitgeber für Frauen in Bielefeld auf. So waren 1862 von den insgesamt 1300 Beschäftigten 880 Frauen und Mädchen. Bis Anfang der 1890er Jahre war die Ravensberger Spinnerei der größte Betrieb in Bielefeld überhaupt. Die Bilanzen der Spinnerei in den 1860er Jahren dokumentieren eine Blütezeit, die jedoch vor allem dem versiegenden Baumwollimport aufgrund des amerikanischen Sezessionskriegs zu verdanken war.

Ravensberger Spinnerei, Bleiche und Mechanische Weberei; Stadtplan 1890; Stadtarchiv Bielefeld

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1861 kaufte die Ravensberger Spinnerei AG die östlich anschließende „Neue Holländische Bleiche“ und wandelte sie in eine moderne Garnbleiche nach schottischem Vorbild um. Da das Grundwasser der Bleiche sich als zu kalkhaltig erwies, kam man mit der Stadtverwaltung überein, sämtliches Wasser, das durchs Nebelstor nach Bielefeld geleitet wurde, vom Niederntor aus der Garnbleiche zuzuführen. 1862/63 wurde schließlich die Mechanische Weberei gegründet, wofür der Weg nach Heepen zur festen Straße ausgebaut und ein Stück nach Süden verlegt wurde. 1863/64 entstand eine hohe Mauer, die das ganze Gelände der Spinnerei umgab und den Blicken der Öffentlichkeit entzog.

1865 eröffnete eine Filiale in Wolfenbüttel. 1884 wurde eine weitere Bleiche in Ummeln eingerichtet. Gegen Ende des 19. Jhs. entwickelte sich Bielefeld dank der Ravensberger Spinnerei und der Mechanischen Weberei sowie den daraus folgenden Betrieben der Veredelung und Weiterverarbeitung von Leinenprodukten zum führenden Leinenzentrum Deutschlands.

Im zwanzigsten Jahrhundert

Luftbild der Ravensberger Spinnerei; Foto: Buch der Stadt Bielefeld 1926

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Trotz einer tiefen Krise in den 1920er Jahren konnte sich die Ravensberger Spinnerei bis in den Zweiten Weltkrieg hinein behaupten. Die Beschäftigung von etwa 80 Zwangsarbeiterinnen aus der Sowjetunion und Polen zwischen 1941 und 1945 gehört zu den unrühmlichen Seiten des „kriegsnotwendigen Betriebs 1. Kategorie“, der seine Produktion aufgrund von schweren Bombentreffern 1943–45 schließlich schrittweise stilllegen musste.

Zwischen 1945 und 1964 investierte die Ravensberger Spinnerei AG elf Millionen DM in den Wiederaufbau und die Erneuerung des Maschinenbestands sowie in die Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch Schalldämmung und den Einbau von Kühl- und Absaugsystemen. Auch in den Wohnungsbau musste investiert werden, waren doch die viele Arbeiterhäuser zerstört. 1954 betrug die Gesamtzahl an werkseigenen Arbeiterhäusern in Bielefeld, Wolfenbüttel und Ummeln wieder 66 Häuser mit 305 Wohnungen. Als die Spinnerei Vorwärts 1955 den Betrieb aufgab, übernahm man einen Teil der 450 Beschäftigten, was den weiterhin problematischen Arbeitskräftemangel etwas linderte. Doch nach wie vor kam ein Großteil der rund 1000 Beschäftigten aus anderen Regionen. In den 1970er Jahren machten schließlich „GastarbeiterInnen“ aus Österreich, Spanien, Griechenland und der Türkei 60% der Belegschaft aus.

Haupteingang und Portiersgebäude Heeper Straße 1959; Foto: Stadtarchiv Bielefeld

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Das größte Problem der Nachkriegszeit war letztlich die Beschaffung der Rohmaterialien, da die Flachsanbauflächen in Deutschland immer weiter zurückgingen. Artikel aus Leinen waren nun Luxusgut. Während die Filiale in Wolfenbüttel zeitweilig ihre Produktion auf andere Materialien umstellte, hielt der Hauptbetrieb in Bielefeld am Flachsgarn fest.

1968 verkaufte die Betriebsleitung der Ravensberger Spinnerei ihr gesamtes Betriebsgelände in Bielefeld mit allen Gebäuden an die Stadt Bielefeld und verlagerte bis 1971 schrittweise die Produktion auf das Gelände der Bleiche in Ummeln, wo ein moderner Neubau entstand. Die Filiale in Wolfenbüttel musste 1970 schließen. 1973 wurden auch die Werkswohnungen an der Bleich-, Hermann-Delius- und Webereistraße verkauft. Trotz der Umstellung der Produktion auf modische Synthetik-Garne halbierte sich schließlich zwischen 1985 und 1987 der Umsatz und die Zahl der Beschäftigten sank auf 300. 1988 beantragte der Vorstand der Ravensberger Spinnerei AG den Konkurs.

Luftbild der Ravensberger Spinnerei 1979; Foto: Stadtarchiv Bielefeld

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Kampf ums Fabrikschloss und Umnutzung

Als die Stadt Bielefeld 1968 das traditionsreiche Fabrikgelände der Ravensberger Spinnerei übernahm, war der Abriss bereits beschlossene Sache. Das Verkehrskreuz einer innerstädtischen Tangente sollte das Areal vierteilen. Empörte Bürger, die den Erhalt des Geländes mit dem „Fabrikschloss“ forderten und die Einrichtung eines Kulturzentrums vorschlugen, brachten in langjährigem engagiertem Kampf schließlich Politik und Verwaltung zum Umdenken. Der Landeskonservator von Westfalen-Lippe stellte das gesamte 1,6 Hektar große Areal 1972 als Industriedenkmal unter Denkmalschutz. Nur wenige Gebäude waren nicht mehr erhalten: So blieben vom 1855/56 erbauten Portiersgebäude nur malerische Ruinen übrig. Auch der Speisesaal für die Beschäftigten im westlichen Winkel des Geländes sowie einige wenige Nebengebäude waren nicht zu retten oder bereits abgerissen.

Der Architekt Peter Obbelode konzipierte den bahnbrechenden Umbau der ehemaligen Fabrikanlagen – eine gewaltige Aufgabe, war dies doch das erste große Umnutzungsprojekt einer Industrieanlage in Deutschland. Für die denkmalgerechte Sanierung wurden die „Bürgerinitiativen Alte Ravensberger Spinnerei“ 1986 mit dem Deutschen Preis für Denkmalschutz ausgezeichnet. 1989 erhielt Peter Obbelode für das Umnutzungsprojekt zum stadtbildprägenden Kulturzentrum den Europa Nostra Award, der Preis der Europäischen Union für das Kulturerbe, der als bedeutendster Preis für Denkmalpflege in Europa gilt.

Aus dem „schönen, sehr lustigen großen Garten“, wie ein Chronist zu Anfang des 18. Jhs. den Meinderschen Garten beschrieb, wurde wieder ein Park, zudem ein wichtiger innerstädtischer Kulturtreffpunkt. Seit 1978 heißt der westliche Teil des Ravensberger Parks mit den einstigen Kühlteichen für die Dampfmaschinen zu Ehren des 25-jährigen Bestehens der Partnerschaft zwischen Bielefeld und Rochdale Rochdale-Park.

Die heutige Nutzung des Ravensberger Parks

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In das Hauptgebäude zog 1986 die Volkshochschule Bielefeld ein. Seit 1989 ist im einstigen Werkmeisterhaus die politische Bildungseinrichtung Arbeit und Leben Bielefeld e.V. untergebracht. 1994 zog das Historische Museum in die Sheddachhallen; ein Jahr später wurde in der Karderie ein Raum für Sonderausstellungen eröffnet. 1995 bezog das Museum Huelsmann die ehemalige Direktoren-Villa, 2005 kam mit der „Weißen Villa“ ein weiteres einzigartiges Gebäude hinzu. In der Alten Hechelei befinden sich heute eine Party-Location mit Gastronomie sowie die Ravensberger Park Veranstaltungs GmbH. In der Zweiten Hechelei hat das Ordnungsamt der Stadt Bielefeld seinen Sitz. 2006 eröffnete das Lichtwerk-Kino in der Alten Tischlerei seine drei Kinosäle.

Hauptgebäude Ravensberger Spinnerei | VHS

Vorspinnsäle, Karderie, Werkstätten | Historisches Museum

Alte und Neue Hechelei

Alte Tischlerei | Lichtwerk

Direktoren-Villa und Weiße Villa | Museum Huelsmann

Werkmeisterhaus | Arbeit und Leben e.V.

Lesetipps
  • Leben und Arbeiten in der Fabrik. Die Ravensberger Spinnerei von 1850 bis 1972, Ausstellungskatalog, Bielefeld 1986.
  • Johannes Altenberend: „Kinderarbeit in Bielefeld. Die Ravensberger Spinnerei und ihre Fabrikschule“, in: 74. Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg, (1982/83), S. 115–172.
  • Andreas Beaugrand: „Arbeiterzwingburg, Fabrikschloss, Kulturfabrik – Die Ravensberger Spinnerei und ihre Umnutzung“, in: Andreas Beaugrand (Hg.), Stadtbuch Bielefeld 1214–2014, Bielefeld 2013, S. 448–457.
  • Bernd Hey u.a. (Hg.): Geschichtsabläufe. Historische Spaziergänge durch Bielefeld, Bielefeld 1990, S. 133–141.
  • Peter Obbelode, Andreas Beaugrand: „Vom Fabrikschloß zur Kulturfabrik. Die Umnutzung der alten Ravensberger Spinnerei“, in: Andreas Beaugrand (Hg.), Stadtbuch Bielefeld. Tradition und Fortschritt in der ostwestfälischen Metropole, Bielefeld 1995, S. 318–329.
  • Susanne Prinz: Die Ravensberger Spinnerei, Magisterarbeit, München 1990.
  • Gerhard Renda: Die Ravensberger Spinnerei in Bielefeld, München 2002.
  • Dirk Ukena, Hans J. Röver (Hg.): Die Ravensberger Spinnerei – Von der Fabrik zur Volkshochschule, Bielefeld 1989.
  • Bernd J. Wagner: „Stichtag 15. Januar 1857: Die Ravensberger Spinnerei nimmt ihre Produktion auf“, in: Historischer RückKlick
  • Bernd J. Wagner: „16. Januar 1974: Der Stadtrat entscheidet sich gegen den Abriss der Ravensberger Spinnerei“, in: Historischer RückKlick

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