Zur Hauptseite Ravensberger Spinnerei
In der 1857 erbauten Alten und der 1892 erbauten Neuen Hechelei wurden die gerösteten und geschwungenen Langfasern der Flachspflanze gehechelt, d.h. gekämmt. In der Alten Hechelei befinden sich heute eine Party-Location mit Gastronomie sowie die Ravensberger Park Veranstaltungs GmbH. In der Neuen Hechelei hat das Ordnungsamt der Stadt Bielefeld seinen Sitz.
Die Alte Hechelei; der Baumbestand markiert die ursprüngliche Ausdehnung des Gebäudes nach Osten; Foto: Buchwald
CloseDas Hecheln
In der Ravensberger Spinnerei kam der Flachs bereits geröstet an, anfangs aus dem Bielefelder Umland, später auch aus Belgien oder Russland. Dort waren die reifen Flachsstengel in Bündeln aus dem Boden gerauft, durch Lagern im Wasser in Gärung gekommen, also „geröstet“ oder „geröttet“ worden, wodurch sich die Klebesubstanzen zwischen dem Fasermantel und dem Stengel auflösten. Danach wurden die Fasern „geschwungen“, also aufgebrochen und entholzt. Da diese landwirtschaftliche Form des Verröttens auf lange Sicht für die Maschinenspinnerei keine ausreichend gleichmäßige Qualität lieferte, wurden später Röstmaschinen eingesetzt. 1951 erwarb die Ravensberger Spinnerei AG schließlich die Flachsröste Wietzendorf.
Die Spinnerei kaufte Flachs in zwei Formen an: als Langfaser (Flachs) in 200–300 Gramm schweren Bündeln und als Kurzfaser (Werg, Heede) in Ballen. Während die Kurzfasern (Werg) im Hedemagazin gemischt und dann in der Werghechelei btw. der Karderie weiter verarbeitet wurden, kamen die qualitativ hochwertigeren Langfasern in die Flachshechelei.
In der Hechelei wurden Flachsfasern sortiert und durch eiserne Kämme gezogen, um die Fasern möglichst fein aufzuteilen und zu trennen. Diese Kämme oder „Hecheln“ befreiten den Flachs auch von den letzten Pflanzenresten. Bis in die 1880er Jahre hinein wurde diese Arbeit von Hand verrichtet. Auch danach wurde der Flachs zumindest von Hand angehechelt, bevor er den Hechelmaschinen zugeführt wurde. Beim anschließenden „Handspitzen“ zog der Arbeiter die Flachbündel einige Male mit einer leichten Handdrehung durch die „Hechelei“ und erzielte damit die größtmögliche Feinheit der Fasern.
Hecheln per Hand; Foto: Ausstellungskatalog „Leben und Arbeiten in der Fabrik“
CloseDiese Handarbeiten verrichteten ausschließlich Männer, sogenannte „Spitzer“. Sie verdienten den höchsten Akkordlohn in der Spinnerei, denn ihre Tätigkeit zählte zu den qualifiziertesten, war jedoch äußerst anstrengend und gesundheitsschädlich. In gebückter Haltung arbeiteten die „Hechler“ in trockener Luft mit hoher Staubentwicklung. Der ständige Staub führte zu Lungenerkrankungen, die erst durch den Einbau von Ventilatoren etwas eingedämmt werden konnten.
Maschinelles Hecheln in den 1950er Jahren; Foto: Stadtarchiv Bielefeld
CloseAlte Hechelei
Die Alte Hechelei wurde um 1857 gleich östlich vom Südflügel des Hauptgebäudes erbaut. Einige Quellen geben an, bereits 1856 sei eine erste Hechelei vollendet gewesen, die 1857 mit der Installation einer großen kombinierten Dampfmaschine für Hechelei und Schwingmaschine den Betrieb aufnahm. Nach der Zerstörung durch einen Brand noch im gleichen Jahr wurde sie durch einen besser gegen Feuer geschützten Bau ersetzt, der wie eine Miniaturversion des Hauptgebäudes gewirkt haben muss. Im Erdgeschoss befand sich die Maschinenhechelei, in den Dachetagen die Handhechelei. 1894 wurde westlich als Ergänzungsbau eine weitere Maschinen-Hechelei angeschlossen.
Die Alte Hechelei rechts neben dem Spinnereihauptgebäude; Stich von 1870; Foto: Stadtarchiv Bielefeld
CloseIm Zweiten Weltkrieg wurden große Teile des Gebäudes zerstört, so dass nur noch das Erdgeschoss des Westteils und ein Stück des Mittelteils erhalten blieb. Die ursprüngliche Ausdehnung des Gebäudes nach Osten wird jedoch durch den Baumbestand der Außengastronomie markiert. Heute befinden sich hier eine Party-Location mit Gastronomie sowie die Ravensberger Park Veranstaltungs GmbH.
Lage der beiden Hecheleien auf dem Situationsplan von 1894; Stadtarchiv Bielefeld
CloseNeue Hechelei
Die Neue Hechelei wurde 1892 an der Heeper Straße errichtet, da bei der Straßenverlegung nach Süden Raum für weitere Bauten entstanden war. Wegen dieser Straßenlage erhielt das Gebäude zwei Fassadenseiten. Große Fassadenfenster und zwei Sheddächer ließen viel Licht herein. In diesem Gebäude befindet sich heute das Ordnungsamt der Stadt Bielefeld.
Neue Hechelei an der Heeper Straße vom Lichtwerk-Kino aus gesehen; Foto: Buchwald
CloseLesetipps
- Bernd Hey u.a. (Hg.): Geschichtsabläufe. Historische Spaziergänge durch Bielefeld, Bielefeld 1990, S. 133–141.
- Dirk Ukena, Hans J. Röver (Hg.): Die Ravensberger Spinnerei – Von der Fabrik zur Volkshochschule, Bielefeld 1989.
- Leben und Arbeiten in der Fabrik. Die Ravensberger Spinnerei von 1850 bis 1972, Ausstellungskatalog, Bielefeld 1986.
Homepage der Hechelei
Homepage der Ravensberger Park Veranstaltungs GmbH