Delius & Sohn

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An der Brunnenstraße 4 entstanden 1887 Fabrik, Kontor und Lagerräume der Leinen- und Plüschfabrik Delius & Sohn. Heute erinnert hier nichts mehr an die einstige Produktionsstätte, verließ das Unternehmen doch 1912 die innerstädtische Lage zugunsten eines Standortes weit außerhalb der Stadt im dünn besiedelten Horstheide/Jöllenbeck, wo Otto Delius 1898 einen großen Fabrikneubau errichten ließ.

Geschäftshaus der Firma Delius & Sohn, Brunnenstr. 4 im Jahr des Verkaufs an Dürkopp 1912; Foto: Privatarchiv Eberhard Delius

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Der Delius'sche Leinenhandel

Wie C.A. Delius & Söhne ging Delius & Sohn zurück auf den Leinenhandel, den Johann Casper Delius 1722 an der Siekerstraße in Bielefeld begann und der unter Ernst August Delius und dessen Söhnen Gustav und Gottfried als E.A. Delius & Söhne schließlich zur bedeutendsten Leinenhandlung Bielefelds gedieh. 1838 wurden im Verlagssystem 120 Webstühle beschäftigt. 1844 – nach dem Eintritt von Gustavs Sohn Hermann Delius – ließ E.A. Delius als erste Leinenhandlung Bielefelds auf eigene Rechnung weben. In den Jahren der Leinenkrise 1840–1850 begann die Firma 1845 mit der Handweberei von Seidenstoffen. Bereits 1850 webten 120 Seidenweber für Delius. Da der Absatz von Leinengeweben aufgrund der großen Konkurrenz des günstigeren englischen, belgischen und französischen Leinens und des Imports von Baumwolle weiterhin stark schwankte, nahm das Unternehmen 1883 auch die Plüschweberei auf.

Ernst August Delius (1763–1839); Foto: Buch der Stadt Bielefeld

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Plüschweberei

Die Umstellung auf die Plüschweberei war aus der Not der Leinenindustrie geboren, erwies sich aber als flexible Lösung: Ein Plüschweber konnte viel leichter auch Leinen und Seide weben als umgekehrt und gehörte schließlich zu den bestbezahlten Webern. Als erste in Bielefeld hatten Bertelsmann & Niemann 1858 eine Plüschfabrik gegründet, 1871 nahm die Plüschweberei der Gebr. Wertheimer ihren Betrieb auf, 1882 Meyer & Sternberg in Oerlinghausen. Im Jahr 1882 liefen in Bielefeld 700 bis 800 Plüschwebstühle. E.A. Delius begann 1883 mit dem Weben von Plüsch und brachte es 1887 auf 320 Webstühle, die in Heimarbeit für das Unternehmen webten. Damit war die Plüschindustrie Ravensbergs zur bedeutendsten Deutschlands geworden.

Die Zeiten um 1880 waren günstig für die Plüschweberei. In Nordamerika war durch den Ausbau des Eisenbahnnetzes eine so große Nachfrage an Plüschstoffen zur Ausstattung der Eisenbahnwaggons entstanden, dass der Bedarf kaum gedeckt werden konnte. Auch in Bielefeld stellte man sich auf diesen Boom ein und die Zahl der Plüschwebstühle stieg im Laufe der 1880er Jahre auf 2000.

Hermann Delius (1819–1894) und Otto Delius (1846–1930); Foto: Buch der Stadt Bielefeld

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Trennung der Zweige Seide und Plüsch

E.A. Delius hatte unter der boomenden Nachfrage nach Plüschstoffen neben dem Stamm der Leinenhandweber, die schon seit Generationen für Delius gearbeitet hatten, einen festen Kreis an Plüschhandwebern aufgebaut. Da Plüsch- und Seidenweberei sich so glänzend entwickelten, trennten sich 1887 die beiden Produktionszweige der Firma E.A. Delius: Carl Albrecht Delius widmete sich mit seinen Söhnen Paul und Erich unter dem Namen C.A. Delius & Söhne weiter der Seidenweberei, während sich Hermann Delius, der bereits die entscheidenden Impulse zur Gründung der Ravensberger Spinnerei AG wie der Mechanischen Weberei gegeben hatte, mit seinem Sohn Otto in der Firma Delius & Sohn vor allem der Leinen- und Plüschweberei zuwandte.

Weberei Delius & Sohn

Weberei und Geschäftshaus an der Brunnenstr. 4; Innenhof; Ausschnitt aus Aquarell; Privatarchiv Eberhard Delius

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An der Brunnenstraße entstanden Kontor, Fabrik und Lagerräume der Firma Delius & Sohn, die am 1. Juli 1887 offiziell die Produktion aufnahm. Zusätzlich zur Plüschweberei ließ man hier im Verlagssystem Leinenwäsche nähen und andere Leinenfertigwaren herstellen. Anfang der 1890er Jahre kam es in der Plüschindustrie zu einer großen Krise. Zum einen brach in den USA die Eisenbahnindustrie ein; auch wurde die Einfuhr von Plüschen nach Nordamerika durch hohe Zölle sehr erschwert und kam fast ganz zum Erliegen. Zum anderen wurden auch für die Plüschweberei mechanische Webstühle entwickelt, die der Handweberei zusehends Konkurrenz machten. Die Firma Gebr. Wertheimer stellte in Bielefeld 1895 die ersten mechanischen Webstühle auf; die anderen Firmen folgten, so dass innerhalb von zehn Jahren die Plüsch-Handweberei fast ganz verdrängt wurde.

Blick vom Niederwall in die Brunnenstraße 1892; drittes Gebäude von rechts Geschäftshaus von Delius & Sohn; Fotograf: Schlake; Foto: Stadtarchiv Bielefeld

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Umzug nach Horstheide

Als im Jahr 1894 Hermann Delius starb und sein Sohn Otto die Firma alleine übernahm, begann auch bei Delius & Sohn die völlige Umstellung auf die mechanische Plüschweberei. Otto Delius ließ im dünn besiedelten Horstheide/Jöllenbeck eine neue Fabrik für mechanische Weberei errichten.

Weberei und Verwaltungsgebäude am Schnatsweg in Jöllenbeck-Horstheide 1905; Foto: Privatarchiv Eberhard Delius

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Die mechanisch gewebten Plüsche waren aber doch von anderer Qualität als die handgewebten, auch wenn sie die Endverbraucher billiger kamen. So wurden ab 1894 Inletts und Matratzendrell fabriziert – ein Novum für Bielefeld. Zu glatten und gemusterten Möbelplüschen, Plüschtischdecken und Moquettes kam 1902 eine Abteilung für Halbleinen- und Baumwollwaren hinzu, die sich allerdings nur mit viel Mühe langsam einen Markt erobern konnten. Waren Kontor und Teile des Lagers vorerst an der Brunnenstraße verblieben, zog 1912 schließlich auch das Kontor nach Horstheide um, denn mit dem Bau der Kleinbahn bis Jöllenbeck war der dortige Standort verkehrstechnisch aufgewertet worden.

Standorte Brunnenstraße (unten links) und an der Kleinbahnstation Horstheide (obere Bildhälfte); Aquarell: Privatarchiv Eberhard Delius

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Ende der Plüschfabrikation

Im Ersten Weltkrieg wurde die Produktion auf Zeltbahnen und Sandsackstoffe, Militärdrelle, Flugzeugleinen und Papiergewebe, auch auf Herren- und Damenkleiderstoffe umgestellt. 1819 trat Ottos Sohn Erwin als Teilhaber in die Firma ein. Die Plüschmaschinen wurden 1920/21 verkauft – das Ende der Plüschfabrikation bei Delius & Sohn. Stattdessen konzentrierte das Unternehmen sich auf Leinen-, Halbleinen und Baumwollwaren für den inländischen Markt sowie auf den Ausbau der eigenen Färberei- und Appretur-Abteilungen in Form einer modernen Kettbaum- und Kreuzspulfärberei. Die Jacquardweberei wurde auf 48 Stühle aufgestockt. Vielseitigkeit stand im Vordergrund: Vom Inlett und Matratzendrell über Wagenplanen bis zu leichten Nesselstoffen wurde nach dem Zweiten Weltkrieg eine breite Palette verschiedener Stoffarten produziert, in den 1950er Jahren schließlich auch hochwertige Mantelstoffe (Popeline und Garbardine).

Erwin Delius leitete Delius & Sohn von 1919 bis zum Ende, zuletzt zusammen mit seinen beiden Söhnen Eberhard und Diether; Foto: Privatarchiv Eberhard Delius

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1959 traf der Niedergang der Textilindustrie auch dieses Unternehmen. Am 30. Juli 1960 wurde es aus dem Handelsregister gelöscht, die 4000m² Webereigebäude in Horstheide erst verpachtet, 1995 schließlich zu Wohneinheiten und Büros umgebaut. Der auf der Website des Heimatvereins Jöllenbeck beschriebene Rundwanderweg A2 führt am Gelände der ehemaligen Weberei Delius & Sohn vorbei und lädt zu einer Erkundung des ehemaligen „Weberdorfs“ Jöllenbeck ein. Auch eine kurzgefasste Geschichte der Firmen Delius sowie historische Rundgänge zu Stätten der Textilverarbeitung finden sich dort.

Eberhard Delius, Urenkel von Hermann Delius, der nach einer kaufmännischen Lehre in Gütersloh 1952 in den väterlichen Textilbetrieb Delius & Sohn eingetreten war, engagierte sich in der Kommunalpolitik und war von 1989 bis 2004 Vorsitzender des Historischen Vereins, wo er u.a. 2003 die gemeinnützige Stiftung Bauernhausmuseum mitbegründete.

Lesetipps
  • Erwin Delius: „Geschichte der Firma Delius & Sohn, Horstheide, Kreis Bielefeld“, in: Magistrat der Stadt Bielefeld (Hg.): Bielefeld. Das Buch der Stadt, Bielefeld 1926; Repr. 1978, S. 396–398.
  • Hans Schmidt: Vom Leinen zur Seide. Die Geschichte der Firma C.A. Delius & Söhne und ihrer Vorgängerinnen und das Wirken ihrer Inhaber für die Entwicklung Bielefelds 1722–1925, Lemgo 1926.

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