Ferd. Lueder & Kisker und A.W. Kisker

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1837 schlossen sich Ferdinand Lueder, Inhaber der 1801 gegründeten Bielefelder Damastweberei Ferd. Lueder & Co., und der junge Kaufmann August Wilhelm Kisker aus Halle in Westfalen zusammen und eröffneten die Firma Ferd. Lueder & Kisker, „Fabrikgeschäft in Leinen, Taschentüchern und Tischzeug“. 1843 wurde die Firma zum kaiserlich-königlichen Hoflieferanten ernannt. August Wilhelm Kisker führte ab 1860 das Unternehmen unter dem Namen A.W. Kisker als alleiniger Inhaber weiter. Heute ist die Firma A.W. Kisker ein erfolgreiches Bau- und Immobilienunternehmen.

Das Kisker-Areal mit dem Stammhaus in der Ritterstraße, dem Dreieckshaus und Blick in die Mauerstraße mit weiteren Kisker-Gebäuden; Foto: Buchwald

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August Wilhelm Kisker wurde am 9. September 1812 im westfälischen Halle als fünftes von zehn Kindern einer bedeutenden Kaufmannsfamilie geboren. Bereits mit zehn Jahren verließ er das Elternhaus zur Ausbildung. Seine Lehr- und Wanderjahre führten ihn zur kaufmännischen Ausbildung nach Antwerpen, dann zur Verfeinerung seiner technischen Kenntnisse auf die Britischen Inseln – ins Zentrum der Industrialisierung.

Ferd. Lueder & Kisker

1837 gründete der erst 24-Jährige mithilfe eines Darlehens seines Vaters, des Kommerzienrats Christoph Wilhelm Kisker, zusammen mit dem wesentlich älteren Ferdinand Lueder die Firma Ferd. Lueder & Kisker, „Fabrikgeschäft in Leinen, Taschentüchern und Tischzeug“ in Gadderbaum. Lueder war Webereifachmann und Inhaber der 1801 gegründeten Bielefelder Damastweberei Ferd. Lueder & Co.. Er brachte seine jahrzehntelange technische Erfahrung, das Grundstück in Gadderbaum sowie die Fabrikeinrichtung in die Firma ein.

Gründungsrundschreiben von 1837; Stadtarchiv Bielefeld

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1837 beschäftigte die Firma in drei Werkstätten in Gadderbaum insgesamt 29 Webstühle. Hinzu kamen „mindestens 54 Webstühle“, die in Wohnungen einzelner Weber in „Sandhagen, Gadderbaum, in der Altstädter Feldmark und im Siekerfelde“ aufgestellt waren. 1844 zog die Firma von Gadderbaum nach Bielefeld um und beschäftigte ein Jahr später die meisten Bielefelder Damastweber. Ihren Gewinn konnte sie von 1.544 Talern im Jahr 1841 auf 14.486 Taler im Jahr 1850 steigern. Die Produkte waren in erster Linie Tafeltücher, Servietten und Handtücher. Als erstes Bielefelder Unternehmen führte Lueder & Kisker die Jacquardweberei im Fabrikbetrieb ein.

Königlich-kaiserlicher Hoflieferant

Rasch entwickelte sich die Firma Lueder & Kisker zu einem der führenden Hersteller von feinsten Tafel-Damasten und belieferte bereits 1840 das Königliche Hofmarschallamt in Berlin mit Tischwäsche. 1841 beauftragte die königliche Hofhaltung des Preußischen Hofes das Unternehmen mit der Anfertigung sämtlicher Damast-Tafelzeuge. Die Ernennung August Wilhelm Kiskers zum kaiserlich-königlichen Hoflieferanten folgte 1843. Die spätere Firma A.W. Kisker hielt diesen Auftraggeber bis zum Ende der Monarchie 1918 und trug über 70 Jahre lang den guten Ruf des „Bielefelder Leinens“ bis ins kaiserliche Berlin. Die Waren fanden nicht nur im Gebiet des Deutschen Bundes und im benachbarten westeuropäischen Ausland Absatz. Bereits 1841 exportierte das Unternehmen u.a. auch nach Moskau, Kapstadt, Rio de Janeiro und Mexiko.

Ravensbergischer Leineweber auf Engelskopf mit den Initialen A.W.K., Schutzmarke der Firma A.W. Kisker seit 1909; Foto: Archiv Museum Wäschefabrik

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August Wilhelm Kisker – christlich-konservativer Pionier der Bielefelder Industriegeschichte

1844 hatte die Firma das Grundstück an der Ritterstraße erworben – das zukünftige Bielefelder Stammhaus und Kontor. Vom zuvor an jener Stelle stehenden „Süsternhaus“ wurde der steinerne Engel ins Firmenemblem übernommen. Ab 1909 sollte noch der Leineweber die Schutzmarke ergänzen, ließ sich Kisker doch anlässlich seiner großzügigen Spende zum Bau des Leineweberbrunnens die Rechte an der Verwendung dieses Motivs sichern.

Engelsköpfe am Haus Kisker an der Ritterstraße um 1900; Foto: Stadtarchiv Bielefeld

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Auf zahlreichen Geschäftsreisen hatte Kisker Einblicke in die dampfbetriebene Maschinenspinnerei und neue Bleichverfahren gewonnen, die er gegen große Widerstände der Ravensberger Hand-Spinner und -Weber in Bielefeld durchsetzen musste. Als erste in der Bielefelder Gegend verwendete die Weberei Lueder & Kisker englisches Maschinengarn.

1848 war Kisker an der Gründung der Friedrich-Wilhelms-Bleiche in Brackwede beteiligt; drei Jahre später kaufte er in Senne die Scherpelsche Bleiche hinzu, die er nach seinem Vater in Wilhelm-Kiskers Bleiche umbenannte. Als diese „englische Bleiche“ 1872 an Hermann Windel verkauft wurde, hatte sich ihr Marktwert nahezu vervierfacht; als Windelsbleiche wurde sie zu einem Meilenstein der Bielefelder Wirtschaftsgeschichte.

Doch Kisker suchte nicht nur mit dem eigenen Unternehmen die Innovation: Zusammen mit seinem Freund Hermann Delius gehörte er 1854 zu den Gründern der Ravensberger Spinnerei AG und wurde zweiter Vorsitzender des Verwaltungsrats und bedeutender Anteilseigner. Auch an der Gründung der Mechanischen Weberei 1862 beteiligte er sich aktiv. Obwohl die Ravensberger Spinnerei von einigen als ausbeuterische „Zwingburg“ mit „schlesischen Zuständen“ geschmäht wurde, war Kisker sozial sehr aktiv, u.a. als Hauptinitiator für den Neubau des städtischen Krankenhauses (1852–1854), der aus privaten Sammlungen finanziert wurde. Bis 1865 war er Stadtverordneter und Presbyter der Altstädter Kirchengemeinde und wirkte bei der Gründung der von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel mit.

August Wilhelm Kisker (1812–1881); Buch der Stadt Bielefeld von 1926

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A.W. Kisker, Fabrik für Leinen und Tischzeuge

1859/60 löste sich die Firma Ferdinand Lueder & Kisker aufgrund unterschiedlicher Ansichten der beiden Teilhaber auf. Kisker führte die Weberei unter dem Namen A.W. Kisker, Fabrik für Leinen und Tischzeuge, fort – mit großem Erfolg. Immer weitere Werkstätten entstanden auf dem Areal zwischen Ritter- und Mauerstraße bis zur Notpfortenstraße. 1861 beschäftigte A.W. Kisker 160 Arbeiter, obwohl er sich in erster Linie als Kaufmann, weniger als Fabrikant verstand. Auf der Weltausstellung in London 1862 wurde u.a. auch eine für Kisker gewebte Damastserviette gezeigt.

1888 stellte Firma – mittlerweile unter Leitung der Söhne Wilhelm und Georg Kisker – die ersten mechanischen Webstühle auf. Gleichzeitig hielt das Unternehmen lange an Handwebstühlen fest und nahm noch 1896 einen neuen Handwebsaal in Betrieb. A.W. Kisker hatte sich zur größten Manufaktur für Leinendamaste in Bielefeld entwickelt. Das neue imposante Kontor- und Verwaltungsgebäude an der Ritterstraße verdeutlichte diesen Erfolg.

Damast-Handwebstühle der Firma Kisker im Buch der Stadt Bielefeld von 1926

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Neue Zweigwerke

Weitere Steigerungen der Verkaufszahlen führten dazu, dass 1888 die Firma Krönig & Söhne in Steinhagen gekauft, 1889 ein neues Werk in Milse und 1910 ein Werk in Mennighüffen bei Löhne eröffnen konnten. Mit der Gründung des Milser Werkes ging auch die Gründung einer eigenen Betriebskrankenkasse einher. 1898 wurde eine Haushaltungsschule für die weiblichen Betriebsmitglieder des Milser Werkes gegründet. Die Nachfrage nach den betriebseigenen Milser Werkswohnungen führte 1924 zur Gründung einer Hilfssparkasse in Milse, um Bauwillige mit ausreichenden Darlehen auszustatten.

Warenschau im Werk in Milse; Foto: Stadtarchiv Bielefeld

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Im Ersten und im Zweiten Weltkrieg stellte man die Produktion auf den militärischen Bedarf um. So entwickelte und lieferte A.W. Kisker Teile der Außenhülle der Zeppeline, Fallschirmstoffe und Flugzeugbespannungen.

In der Zwischenkriegszeit zählten vor allem Reedereien aus dem In- und Ausland sowie Spitzenhotels zu den Kunden des Unternehmens. Neuentstandene Gebäudekomplexe an der Ritter- und Mauerstraße prägten das Gesicht der Altstadt. Die Grundsteinurkunde des im Sommer 1925 errichteten Gebäudes an der Mauerstraße verzeichnete eine Beschäftigtenzahl von 454 Angestellten und Arbeitern in den drei Betrieben Bielefeld, Milse und Mennighüffen. 451 Webstühle verarbeiteten monatlich ca. 700.000 km Garn!

Gebäudekomplex der Firma A.W. Kisker an der Mauerstraße mit Gebäudebrücke, 1970; Foto: Stadtarchiv Bielefeld

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Der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg gestaltete sich schwierig: Teile der Weberei waren beschädigt und die Alliierten nutzten bis 1954 das Werk in Milse, sodass die Produktion in das Werk Mennighüffen ausweichen musste.

In der Folgezeit produzierte Kisker vor allem Haushaltswäsche aus Leinen und Halbleinen, experimentierte gleichzeitig auch mit der Herstellung technischer Gewebe, z.B. für die Kautschukindustrie und elektrotechnische Installationen. Das Ende der Leinenweberei Kisker kam 1974 mit der Schließung der Bielefelder Textilwerke GmbH (BTW) in Oerlinghausen, die Kisker unter Einbringung des Werks in Mennighüffen zusammen mit der Bielefelder Mechanischen Weberei AG, der Ravensberger Spinnerei AG und Carl Weber & Co. GmbH 1969 gegründet hatte.

A.W. Kisker heute

Überlebt hat das alte Kiskersche Firmensymbol des Leinewebers und „der hübscheste Engel der Leinenstadt“, der bis heute über dem Kopfsteinpflaster der Mauerstraße auf der 1904 erbauten Gebäudebrücke schwebt, die einst Kontor und Weberei verband.

Der Kisker-Engel auf der historischen Schutzmarke und an der Gebäudebrücke in der Mauerstraße; Fotos: Stadtarchiv Bielefeld und Buchwald

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Heute ist die Firma A.W. Kisker ein erfolgreiches Bau- und Immobilienunternehmen, das sich u.a. auf die Revitalisierung von Industriebrachen spezialisiert hat. Wilken Kisker, der das Familienunternehmen in der fünften Generation leitet, ließ die weitläufigen Gebäude an der Mauer- und Ritterstraße nach alten Vorlagen aufwändig wiederherstellen und wollte damit auch „ein bisschen was für das Stadtbild tun“. In der alten Weberei mit dem denkmalgeschützten Wasserturm in Milse befindet sich heute ein attraktiver Gewerbepark.

Lesetipps
  • „Firmengeschichte A.W. Kisker“, in: Homepage A.W. Kisker .
  • „A.W. Kisker. Von der Weberei zur Immobiliengesellschaft“, in: Andreas Beaugrand (Hg.), Stadtbuch Bielefeld 1214–2014, Bielefeld 2013, S. 910–911.
  • C. Wolfgang Franck: „Der hübscheste Engel der Leinenstadt“, in: Living in OWL .
  • Barbara Frey, Frigga Tiletschke: „‚Afrika ruft‛. Hans Kisker – ein kolonialer Lebenslauf im Kontext seiner Zeit“, in: 93. Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg, Bielefeld 2008, S. 153-205; online.
  • Sebastian Knake: „Bielefelder Marken Die Marke Bielefeld“, in: Jürgen Büschenfeld, Bärbel Sunderbrink (Hg.), Bielefeld und die Welt. Prägungen und Impulse, Bielefeld 2014, S. 267–288.
  • [Hermann] Jochmus: „Geschichte der Leinen- und Tischzeugfabrik A.W. Kisker, Bielefeld“, in: Magistrat der Stadt Bielefeld (Hg.), Bielefeld – Das Buch der Stadt, Bielefeld 1926; Neudr. Frankfurt a.M. 1978, S. 399–403.
  • Karl Kisker: „Die Bielefelder Leinenindustrie“, in: Magistrat der Stadt Bielefeld (Hg.), Bielefeld – Das Buch der Stadt, Bielefeld 1926; Neudr. Frankfurt a.M. 1978, S. 389–391.
  • Gerhard Schrader: 100 Jahre Bielefelder Leinen und Tischzeug. Das Werden der Firma A.W. Kisker, Bielefeld 1937.
  • Bernd J. Wagner: „1. Januar 1837: Gründung der Firma Ferd. Lueder & Kisker“, in: Historischer RückKlick.
  • Thomas Welskopp: „August Wilhelm Kisker (1812–1881)“, in: Jürgen Kocka, Reinhard Vogelsang (Hg.), Bielefelder Unternehmer des 18. bis 20. Jahrhunderts. Rheinisch-westfälische Wirtschaftsbiographien. Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, Bd. 14, Münster 1991, S. 126–142; Online.

Homepage A.W. Kisker

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