Hauptgebäude Ravensberger Spinnerei | VHS

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Das zweiflüglige schlossartige Hauptgebäude der Ravensberger Spinnerei entstand in den Jahren 1855–1860. Der „Turm“ der Ravensberger Spinnerei – eigentlich der Schornstein des Kesselhauses – gibt bis heute dem ganzen Spinnereiviertel seinen städtebaulichen Akzent. Seit 1986 ist hier u.a. die Volkshochschule untergebracht. Für die denkmalgerechte Sanierung durch den Architekten Peter Obbelode wurde das einstige „Fabrikschloss“ mit dem europäischen Denkmalpreis ausgezeichnet.

Hauptgebäude der einstigen Ravensberger Spinnerei im Rochdale Park mit Kühlteichen für das Abwasser der Dampfmaschinen; Foto: Buchwald

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Fabrikschloss oder „Kathedrale der Arbeit“

Das dreigeschossige Hauptgebäude der Ravensberger Spinnerei, das dem Fabrik-Ensemble mit seinen Ecktürmen, Zinnenkranz, Schießscharten den schlossartigen Charakter verleiht, wurde aus behauenem Kalksandstein aus dem Teutoburger Wald erbaut und erreicht eine Länge von 105 Metern bei einer Höhe von 27 Metern und einer Breite von 20 Metern. Zierelemente aus dunklem Werkstein bilden einen reizvollen Kontrast zu dem hellen Bruchstein aus Muschelkalk. Nur der Mittelteil der Anlage ragt vier Stockwerke empor. Auch produktionstechnisch war hier das Zentrum: das riesige Dampfmaschinenhaus, das auf eine Anlage für 320 PS ausgelegt war.

Das Tragwerk des Hauptgebäudes wurde aus Gusseisen erstellt – heute eine industriegeschichtliche Rarität, die deshalb bei der Umnutzung des Gebäudes sichtbar erhalten blieb. Dass die gusseiserne Konstruktion ebenso wie die Hechel- und Feinspinnmaschinen komplett aus England importiert wurde, gilt inzwischen als widerlegt. Die Eisenträger sind vielmehr eines der frühsten Beispiele einer deutschen Gusseisenkonstruktion dieser Größe.

Stich des Hauptgebäudes von 1870; Stadtarchiv Bielefeld

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Die äußere Gestalt der gesamten Fabrikanlage wurde häufiger mit der englischen Schloss- und Fabrikarchitektur verglichen. Doch das Hauptgebäudes erinnert auch an die Architektur des Schlosses Erdmannsdorf (Mysłakowice) in Schlesien. In Erdmannsdorf war Kaselowsky u.a. mit der Einrichtung einer Flachsspinnerei beauftragt gewesen. Beim Entwurf der Ravensberger Spinnerei bediente er sich sowohl bei der zeitgenössischen Baukunst Großbritanniens, wo er sich längere Zeit zu Studienzwecken aufhielt, als auch bei der Architektur des Schinkelkreises in Schlesien.

Schloss Erdmannsdorf, Lithographie von Theodor Hennicke aus der Sammlung Duncker (1857 bis 1883)

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Der „Turm“ der Ravensberger Spinnerei – eigentlich der Schornstein des Kesselhauses – gibt bis heute dem ganzen Spinnereiviertel seinen städtebaulichen Akzent. Um den Mittelbau mit dem Dampfkesselgebäude und den Dampfmaschinen erstrecken sich zwei symmetrische Flügel in Nord-Süd-Richtung. Spinnereidirektor Walther Delius schrieb dazu 1926: „Im April 1855 wurde mit dem Bau der großzügigen Fabrikanlage, die noch heute zu den besten Bauwerken dieser Art in Bielefeld gehört, begonnen. Im Januar 1857 konnte die Fabrik zuerst mit 3.500 Spindeln die Arbeit aufnehmen. Im Laufe des Jahres wurde die Spindelzahl zuerst auf 5.200, dann auf 10.000 erhöht. In den folgenden Jahren wurde der Bau des zweiten Flügels für weitere 12.000 Spindeln fertig gestellt. Im Jahre 1862 liefen zum ersten Male sämtliche 22.000 Spindeln in Bielefeld.“

In den beiden Flügeln waren insgesamt sechs Säle von etwa 42 Metern Länge und 17 Metern Breite untergebracht: im Erdgeschoss Vorspinnsäle, darüber die Feinspinsäle, im dritten lichtdurchfluteten Obergeschoss die Haspelei. Ganz oben im Mittelbau befand sich ein Trockenraum für das nassgesponnene Garn, der durch drei Schornsteine ventiliert wurde. Dieser Dachraum war nur über eine enge Spindeltreppe zu erreichen.

Ansichtskarte der Ravensberger Spinnerei von 1907; Foto: Stadtarchiv Bielefeld

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„Arbeiterzwingburg“

In der Feinspinnerei wurde im Nassspinnverfahren gearbeitet, d.h. das Vorgarn lief zunächst durch einen Trog mit 60 bis 70 Grad heißem Wasser, damit die Fasern geschmeidiger wurden. Danach wurden die Fasern gestreckt und auf den Spindeln zum Faden gedreht. In der Feinspinnerei arbeiteten ausschließlich Frauen. Sie mussten Fadenbrüche bei laufendem Betrieb beheben und leergelaufene Vorgarnspulen ohne Unterbrechung des Spinnprozesses auswechseln. Dies erforderte ständige Aufmerksamkeit, Erfahrung und hohe Fingerfertigkeit. Die Spindeln der Feinspinnmaschinen, auf die das nasse Garn gespult wurde, liefen mit hoher Drehzahl, so dass ständig Wassertropfen auf die Spinnerinnen spritzten. Wegen der Behälter mit heißem Wasser herrschten in den Räumen der Feinspinnerei Temperaturen von 30°C und hohe Luftfeuchtigkeit. Die gestärkten Leinenkittel der Frauen konnten auf Dauer das Spritzwasser nicht abhalten. So arbeiteten die Spinnerinnen ständig in feuchter Kleidung und mit nassen Füßen, weil das Wasser von den durchnässten Kitteln, später von den steifen Lederschürzen in ihre Holzschuhe lief.

Beim Nass-Spinnen in der Ravensberger Spinnerei 1950; Foto: Stadtarchiv Bielefeld

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Die Anpassung an die Geschwindigkeit der Maschinen, der ohrenbetäubende Lärm sowie hohe Temperaturen und Luftfeuchtigkeit setzten allen Beschäftigten sehr zu. Ärzte diagnostizierten Schmerzen in Oberarmen und Oberschenkeln, Gangbeschwerden, Geschwüre an den Unterschenkeln durch das lange Stehen, Verletzungen der Finger und Hände und – aufgrund des Wechsels von der feuchtwarmen Luft der Spinnsäle in die kalte Luft draußen – vor allem im Winter häufige Erkältungen. Eine ehemalige Spinnereiarbeiterin, die im Februar 1935 aus dem Ruhrgebiet in die Spinnerei kam, erzählte: „Ich bin da nur vier Jahre gewesen, weil die ständige Nässe – die Arme waren ja ständig nass – meiner Haut schadete: Ich bekam die Wasserkrätze. Um uns die Arme trockenzureiben, nahmen wir Abfall vom Vorspinn, sogenannte Hede. Bis zu Ellenbogen hatte ich die ganze Arme ganz rot. Übers Wochenende verheilte das dann, aber montags ging's wieder von vorne los. Damals trug ich immer Blusen mit langem Arm, um die Kratzer zu verbergen, denn dann hieß es ja gleich wieder Spinnerlöttchen.“

Kreuzspulerei im Obergeschoss 1950; Foto: Stadtarchiv Bielefeld

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Abschneiderinnen nahmen die vollen Spulen von den Feinspinnmaschinen und ersetzten sie durch leere. Die vollen Spulen wurden in die Haspelei im Obergeschoss gebracht und dort auf Haspeln umgespult, weil das nasse Garn sonst auf den Spulen geschimmelt wäre. Die Garngebinde kamen dann in die Trockenräume oder wurden an der frischen Luft zum Trocknen aufgehängt, dann zur Bleiche gebracht und ausgelegt.

Da einige Tätigkeiten in der Feinspinnerei keine besonderen Qualifikationen, aber eine hohe Geschicklichkeit erforderten, wurden sie in den ersten Jahrzehnten auch von 12–14-jährigen Kindern unter Aufsicht einer sogenannten „Kommandofrau“ erledigt. Verarmte Weberfamilien schickten ihre Kinder vor allem in den 1860er Jahren aus blanker Not zur Arbeit in die Fabrik. In den Anfangsjahren machten sie bis zu 10% der Beschäftigten der Ravensberger Spinnerei aus. Erst 1891 wurde die Kinderarbeit in Fabriken verboten.

Ausstellungstafel zum Thema Kinderarbeit in der VHS Bielefeld; Foto Buchwald

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Volkshochschule Bielefeld

Im Hauptgebäude der Ravensberger Spinnerei befindet sich seit 1986 die Volkshochschule. Eine im Rahmen eines VHS-Kurses in den Jahren 1984–1986 entstandene Ausstellung „Leben und Arbeiten in der Fabrik“ erzählt in den Treppenhäusern und Fluren die Geschichte der Ravensberger Spinnerei in Bild und Text.

Der Architekt Peter Obbelode konzipierte den bahnbrechenden Umbau der ehemaligen Fabrikanlage und erhielt 1989 für das Umnutzungsprojekt zum stadtbildprägenden Kulturzentrum den Europa Nostra Award – der Preis der Europäischen Union für das Kulturerbe, der als bedeutendster Preis für Denkmalpflege in Europa gilt.

Nach Abbruch der jüngeren Anbauten freigelegte Ostwand mit neuem Eingang zur VHS; Foto Buchwald

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Lesetipps
  • Leben und Arbeiten in der Fabrik. Die Ravensberger Spinnerei von 1850 bis 1972, Ausstellungskatalog, Bielefeld 1986.
  • Johannes Altenberend: „Kinderarbeit in Bielefeld. Die Ravensberger Spinnerei und ihre Fabrikschule“, in: 74. Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg, (1982/83), S. 115–172.
  • Andreas Beaugrand: „Arbeiterzwingburg, Fabrikschloss, Kulturfabrik – Die Ravensberger Spinnerei und ihre Umnutzung“, in: Andreas Beaugrand (Hg.), Stadtbuch Bielefeld 1214–2014, Bielefeld 2013, S. 448–457.
  • Bernd Hey u.a. (Hg.): Geschichtsabläufe. Historische Spaziergänge durch Bielefeld, Bielefeld 1990, S. 133–141.
  • Peter Obbelode, Andreas Beaugrand: „Vom Fabrikschloß zur Kulturfabrik. Die Umnutzung der alten Ravensberger Spinnerei“, in: Andreas Beaugrand (Hg.), Stadtbuch Bielefeld. Tradition und Fortschritt in der ostwestfälischen Metropole, Bielefeld 1995, S. 318–329.
  • Dirk Ukena / Hans J. Röver (Hg.): Die Ravensberger Spinnerei – Von der Fabrik zur Volkshochschule, Bielefeld 1989.

Homepage der Volkshochschule Bielefeld

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