Mechanische Weberei | Realmarkt

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Fotos aus der Produktion 1939–1965

1862 gründete eine Reihe prominenter Bielefelder Leinenkaufleute angegliedert an die Ravensberger Spinnerei die Bielefelder Aktiengesellschaft für die Mechanische Weberei. Mit anfangs 142 englischen mechanischen Webstühlen und irischen Fachkräften ging der nördliche Flügel der schlossartigen Anlage 1864 in Betrieb, 1874 der südliche Flügel. Ein weiteres Betriebsgebäude entstand 1884. 1889 waren an 900 Webstühlen 940 Arbeitskräfte beschäftigt und das Unternehmen entwickelte sich zu einer der größten Leinewebereien Deutschlands. Nach Einstellung der Produktion 1974 wurden Teile des Gebäudes abgerissen, andere entkernt und unter Erhaltung der Fassade bis 1979 zu einem Supermarkt umgebaut.

Die ehemalige Mechanische Weberei 2014; Foto: Buchwald

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Die Gründung der Aktiengesellschaft für Mechanische Weberei

1862 hatte das Direktorium der Ravensberger Spinnerei AG Grundstücke „auf dem Sandkamp“ östlich des Heeper Weges an die im selben Jahr gegründete Gesellschaft für Maschinenweberei verkauft, die künftig als Großabnehmer des eigenen Garns auftreten sollte. Das provisorische Komitee zur Gründung der Aktiengesellschaft bestand größtenteils aus Aktionären der Ravensberger Spinnerei AG. Auch hier waren wieder Hermann Delius von E.A. Delius & Söhne und August Wilhelm Kisker von A.W. Kisker die treibenden Köpfe. Von der Bielefelder Leinenprominenz waren u.a. mit dabei: Theodor Tiemann, Mitinhaber der Bielefelder Leinenhandlung Laer & Co., Heinrich Kobusch von Gebrüder Kobusch, Albert Krönig, Mitinhaber der gleichnamigen Bielefelder Leinenhandlung, Eduard Heidsiek, Inhaber der gleichnamigen Wäschefabrik, Hermann Consbruch aus einer Bielefelder Ratsherren- und Beamtenfamilie, die sich im 19. Jh. dem Leinenhandel zugewandt hatte, Hermann Gante, Teilhaber der gleichnamigen Leinenfabrik, und Hermann Reckmann, Teilhaber der gleichnamigen Leinenhandlung. Nicht fehlen durfte Friedrich Möller vom Kupferhammer, dessen Söhne Karl und Theodor 1863 in Brackwede die Maschinenfabrik K. & Th. Möller GmbH gründeten und bald darauf die Dampfkessel für die Mechanische Weberei lieferten.

Die Mechanische Weberei

Für Planung und Einrichtung der Mechanischen Weberei zeichnete der Ingenieur Landwehr verantwortlich. Er hatte vergleichbare Webereianlangen in Großbritannien besichtigt, sich vom Tudor-Stil architektonisch inspirieren lassen, in England 600 mechanische Webstühle eingekauft und auch gleich einen irischen Webmeister angeworben. Zusammen mit dem Baumeister Baltzer leitete er 1863 den Bau. Im Januar 1864 wurde im Nordflügel der Betrieb mit irischen Fachkräften aufgenommen.

Mechanische Weberei um 1865, damals Sadowastr. 15, heute Teutoburger Str. 98; Stadtarchiv Bielefeld

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Über die Produktionsaufnahme berichtete die Handelskammer 1864: „Die im vorigen Jahre stattgefundene Betriebs-Eröffnung der […] Dampfweberei verdient als das für das Bielefelder Leinengeschäft wichtigste Ereigniß in den Vordergrund unseres Berichts […] gestellt zu werden […]. Die Weberei hatte am Schlusse des Jahres 140 Stühle im regelmäßigen Betriebe. Die weiteren, zur Ausfüllung des ersten Webesaals bestimmten 160 Stühle waren theils schon eingetroffen, theils noch in der Anfertigung begriffen. Die Production hatte sich auf Sack-, Pack- und Farbeleinen und die vier, geringsten Sorten hiesiger Bleichleinen beschränkt. […] Ende des Jahres waren in der Weberei beschäftigt 119 männliche und 159 weibliche Arbeiter, die sich sehr bald und rascher, wie man gedacht, in die Behandlung der Maschinenstühle und Vorbereitungs-Maschinen zu finden wußten, wiewohl ihre Leistungen allerdings noch weit hinter dem zurückgeblieben sind, was von geübten Arbeitern erwartet und erst allmählich erzielt werden kann.“

Werkswohnungen für die Beschäftigten der Mechanischen Weberei; Fotograf: Lohöfener 1939; Foto: Stadtarchiv Bielefeld

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Die Mechanische Weberei begegnete dem gleichen Arbeitskräftemangel wie die Ravensberger Spinnerei, kam die ländliche Bevölkerung doch häufig nur für eine Saison. Die irischen Fachkräfte kehrten in ihre Heimat zurück, nachdem hiesige Kräfte angelernt waren, nur Webmeister Dunn und der schottische Schlichtmeister John Hoy verlegten ihren Wohnsitz dauerhaft nach Bielefeld. John Hoys Tochter Clara sollte schließlich 1899 Otto Gläntzer von der Blaudruckerei, Färberei und Stoffhandlung H. Gläntzer am Gehrenberg heiraten, während Sohn John Hoy jr. in die Fußstapfen des Vaters trat und von 1882 bis 1932 Werkführer und Betriebsleiter der Mechanischen Weberei war.

Am dauernden Arbeitskräftemangel in der Mechanischen Weberei vermochten weder der Bau eines „Speisehauses“ für die Beschäftigten noch die Einrichtung einer Unterstützungskasse viel zu ändern. So wurden Männer und Frauen aus Schlesien angeworben und die Weberei beteiligte sich zusammen mit der Ravensberger Spinnerei an der neu gegründeten Bielefelder Gemeinnützigen Baugesellschaft, die Wohnraum für die wachsende Fabrikarbeiterschaft schuf.

In den ersten Jahren wurden Bleichleinen, Rohleinen, rohe Sackleinen und Drilliche, ab 1868 auch karierte Stoffe, einfacher Damast und Tischdecken gewebt. Da insbesondere das auf breiten Webstühlen gewebte Bleichleinen für Wäsche anfangs sehr gut lief, begann man am 15. Mai 1869 mit dem Bau des Südflügels der Weberei, für den sowohl die Dampfmaschinen aus Bielefelder Produktion (Th. Calow & Co.) geliefert wurden als auch die Dampfkessel (K. & Th. Möller). Für die Beschaffung der Webstühle war man jedoch weiterhin auf England angewiesen.

Infolge des Krieges von 1870/71 stockte der Bau des Südflügels. Auch der Verkauf an Bleichleinen ging zurück; hinzu kam wachsende Konkurrenz aus Österreich, England und Belgien zu deutlich günstigeren Preisen. Um den Verlust auszugleichen, wurde groberes Material für den täglichen Bedarf, auch Halbleinen zum Färben ins Angebot genommen, ab 1874 zudem Wattier- und Steifleinen, das von Großhändlern wie Schneidern gleichermaßen nachgefragt wurde.

Die Mechanische Weberei; Stich um 1889; Foto: Stadtarchiv Bielefeld

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Erst 1874 gelang es, den zweiten Flügel in Betrieb zu nehmen und tatsächlich alle Webstühle zu besetzen. Hinter der heute noch sichtbaren Fassade an der Teutoburger Straße befanden sich in beiden Flügeln große Websäle, mittig dazwischen Dampfmaschinen und Dampfkesselhaus. Davor lagen Teiche zur Kühlung des Wassers für die Dampfmaschinen. 1884 ging ein weiteres Produktionsgebäude mit 300 Webstühlen in Betrieb. 1889 waren an 900 Webstühlen 940 Arbeitskräfte beschäftigt und das Unternehmen entwickelte sich nur fünf Jahre später zu einer der größten Leinewebereien Deutschlands.

Im zwanzigsten Jahrhundert

1907 wurde ein Zweigwerk in Spenge errichtet, auch um das dortige Arbeitskräftereservoir abzuschöpfen. Der Erste Weltkrieg schuf neuen Bedarf: fertige Zelte, Leinensäcke u.ä. wurden von eigens eingestellten Näherinnen, teilweise auch in Heimarbeit, genäht. Experimente mit Papiergeweben blieben von kurzer Dauer. Seit den 1920er Jahren wurden auch Baumwolle, Kunstseide und Zellwolle verarbeitet.

Mitarbeiter mit 40 Jahren Betriebszugehörigkeit 1939; Foto: Stadtarchiv Bielefeld

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Die Leinenproduktion funktionierte nicht ohne Flachsimporte, denn der Flachsanbau in Deutschlands war so unrentabel geworden, dass schon 1913 über 90% des Flachses eingeführt werden mussten. In beiden Weltkriegen wurde der Flachsanbau durch hohe staatliche Subventionen und Zwangsmaßnahmen künstlich angekurbelt, was wiederum den dringend nötigen Weizenanbau zurückdrängte. Die Alternative lautete: nichts anzuziehen oder nichts zu essen. 1945 gab es beides nicht. So produzierte die Mechanische Weberei beispielsweise aus Gasmaskenstoff Hosenträger, Kittel und Schürzen.

Im September 1944 hatte der große Bombenangriff auf Bielefeld auch die Mechanische Weberei schwer getroffen. Der große Websaal, die Appretur, Stärkerei, Färberei, das frühere Garn- und Leinenlager, die Kartenstube, das frühere Meisterbüro und ein Teil der Leinenstube und Näherei waren ausgebrannt. Baumaterial war vor der Währungsreform gegen Geld nicht zu bekommen. So tauschte die Mechanische Weberei AG illegal Betttücher und Drillich gegen „einen ganzen Wald bester Fichten“ im Warsteiner Forst.

Noch unzerstört: Blick auf die Mechanische Weberei von Südosten 1937; Stadtarchiv Bielefeld

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Auf die 1950 einsetzende Modernisierung der Einrichtung folgte die Konzentration der Firmen. 1961 übernahm die Mechanische Weberei AG die 1890 gegründete Mechanische Weberei Ravensberg in Schildesche und war daraufhin als Bielefelder Webereien AG (BIWAG) die größte Leinenweberei Deutschlands.

Die Zeit des Wirtschaftswunders hatte auch das Interesse an Leinenprodukten wieder kurzzeitig in Schwung gebracht, was durch aufwändige Werbekampagnen zusätzlich unterstützt wurde. So organisierte der Verband der Leinenindustrie Leinenwerbewochen im ganzen Land, die mit verstärktem Einsatz der „Schwurhand“, des Leinengütesiegels, an das Qualitätsbewusstsein der Kunden appellierten. Mitte der 1960er Jahre tourten zu rollenden Schaufenstern umgebaute Lieferwagen der Mechanischen Weberei AG als Werbeträger für Bielefelder Leinen durch die ganze Bundesrepublik.

Werbeaktion der Mechanischen Weberei um 1965; Stadtarchiv Bielefeld

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Das hundertjährige Jubiläum der Mechanischen Weberei feierte man 1965 mit einem Festakt und der Aufführung von Gerhard Hauptmanns Stück Die Weber. Die Feststimmung konnte jedoch schwer darüber hinwegtäuschen, dass trotz aller Werbekampagnen und guter Verkaufsergebnisse zwischen 1960 und 1967 die Produktion von Haushaltswäsche aus Reinleinen um 50% zurückgegangen war und immer mehr Leinenerzeugnisse aus dem Ausland importiert wurden.

Gesamtansicht der Mechanischen Weberei an der Teutoburger Straße 1970; Fotograf: G. Rudolf; Foto: Stadtarchiv Bielefeld

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Am 1. Januar 1970 fusionierte die BIWAG im Haushaltswäschebereich mit den Leinewebereien A.W. Kisker und Carl Weber & Co., um durch gemeinsame Lagerhaltung, Disposition und Verkauf ihre Produktion aufeinander abzustimmen und die Vertriebskosten zu senken. Die Bielefelder Textilwerke (BTW) waren geboren. Auch die Ravensberger Spinnerei AG beteiligte sich an den BTW. Doch das Schicksal von BIWAG und BTW war 1974 bereits besiegelt.

Umnutzung zum Supermarkt

Auf dem Gelände der ehemaligen Mechanischen Weberei entstand nach 1974 ein großer Supermarkt. Die nördlichen Gebäude mussten dem Parkplatz für den Supermarkt weichen, die südlichen wurden entkernt, so dass nur die denkmalgeschützte Fassade erhalten blieb.

Teilabbruch der Mechanischen Weberei 1976; Foto: Stadtarchiv Bielefeld

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Nachdem bereits 1970 der „Verband der Leinenindustrie e.V.“ sang- und klanglos seine Arbeit eingestellt hatte, bedeutete die Betriebseinstellung der Bielefelder Textilwerke 1974 das Ende der Bielefelder Leinenindustrie. Außer im Museum wird heute in Bielefeld kein Leinen mehr gesponnen oder verwebt.

Lesetipps
  • Th. Daur: „Die Bielefelder Aktiengesellschaft für Mechanische Weberei“, in: Magistrat der Stadt Bielefeld (Hg.): Bielefeld. Das Buch der Stadt, Bielefeld 1926; Repr. 1978, S. 394–395.
  • Gustav Engel: Bielefelder Webereien Aktiengesellschaft, Festschrift zur Hundertjahrfeier, Bielefeld 1964.
  • Bernd Hey u.a.(Hg.): Geschichtsabläufe. Historische Spaziergänge durch Bielefeld, Bielefeld 1990, S. 146–149.
  • Rosa Schumacher, Christian Stiesch: „Das Ende des Leinenfadens. Bielefelder Leinenindustrie nach 1945“, in: Andreas Beaugrand (Hg.), Stadtbuch Bielefeld. Tradition und Fortschritt in der ostwestfälischen Metropole, Bielefeld 1995, S. 516–525.

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