Vorspinnsäle, Karderie, Werkstätten | Historisches Museum

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Im Mai 1994 zog das Historische Museum in die Sheddachhalle der ehemaligen Vorspinnsäle sowie in die Werkstätten für Schlosser und Tischler ein. Ein Jahr später wurde in der ehemaligen Karderie ein Raum für Sonderausstellungen eröffnet. Die Geschichte der Bielefelder Textilindustrie bildet einen Schwerpunkt der Dauerausstellung. 1995 erhielt das Museum für seine vorbildliche Darstellung der Industrialisierung und ihrer Sozialgeschichte als erstes europäisches Museum den renommierten Dibner Award.

Eingangsbereich zum Historischen Museum; links die ehemaligen Vorspinnsäle; rechts die ehemalige Schlosserei; Foto: Buchwald

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Bereits in den frühsten Plänen waren östlich des zweiflügligen Hauptgebäudes Gebäude für die Werghechelei, eine Karderie sowie eine „mechanische“ Werkstatt mit Pumpwerk vorgesehen. 1879 wurde die Werghechelei zum Vorspinnsaal umgebaut, auch eine Erweiterung bis hin zur Mauer an der Bleichstraße erfolgte. 1898 wurde die Karderie durch ein neues Gebäude ersetzt, 1895 die Schlosserwerkstatt aufgestockt. Die Vorspinnsäle mit der Werghechelei befanden sich in einem dreigliedrigen einstöckigen Sheddachgebäude. Östlich davon lag die Karderie mit dem Hedemagazin.

Werg-Hechelei, Vorspinnsäle, Karderie und Werkstätten auf dem Situationsplan von 1894; Stadtarchiv Bielefeld

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Die Arbeit in der Werg-Hechelei und der Karderie

In der Werghechelei wurde das Werg, also die kurzen Flachsfasern, die ungeordnet in Ballen verpackt angekauft wurden oder beim Flachshecheln als grobe Faserreste anfielen, für den Spinnprozess vorbereitet. Dazu mussten die Kurzfasern im Hedemagazin sortiert werden. Danach kamen die nach Länge und Güte sortierten Flachsfasern in die Karderie, wo sie zu Streifen gezogen wurden. Hier mussten die Fasern über die Karde laufen, um die noch stark holzhaltige Rohware zu säubern, gleichmäßig auszurichten und zu einem Band zu formen. Die Karde war eine Maschine mit Nadelwalzen, die sich mit verschiedenen Geschwindigkeiten gegeneinander drehten.

Die Karderie bestand aus 30 Meter langen Karderiesälen mit enorm hoher Staubentwicklung und entsprechend gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen. Noch vor dem Ersten Weltkrieg konnte man in den Sälen nicht von einem Ende bis zum anderen sehen. Auch entstand dort durch heißlaufende Nadelwalzen oder Metallteile leicht Funkenflug im Werg. Entsprechend hoch war die Brandgefahr. Daher wurde neben der mechanischen Werkstatt im Keller ein artesischer Brunnen angelegt, aus dem das Pumpwerk mithilfe einer eigenen Dampfmaschine unabhängig vom Hauptbetrieb rasch Wasser befördern konnte.

Blick auf die Karderie vom Lichtwerk-Kino aus; vom einstigen Hede-Magazin sind nur noch die Fundamente erhalten; Foto: Buchwald

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Vorspinnen

Auch die aus der Hechelei kommenden langen Flachsfasern wurden zu Bändern verarbeitet. Davor sollten sie jedoch möglichst mehrere Monate lang feucht lagern. Danach wurden sie auf die Anlegemaschinen gebracht. Frauen verteilten die sortierten Flachsfasern gleichmäßig auf ein langsam laufendes Lederband. Starke Walzen zogen die Fasern in ein Nadelfeld, an dessen Ende die Fasern wiederum von Walzen ergriffen und zu einem endlosen Band geformt wurden. Von der sorgfältigen Verteilung der Faserbündel hing die Gleichmäßigkeit des Garns ab. In den anschließenden Strecken wurden die Faserbänder soweit verdünnt, dass sie nur noch geringen Halt im Faserverbund fanden. Um sie dennoch gut verspinnen zu können, wurden die Fasern auf Vorspinnmaschinen leicht gedreht zum so genannten Vorgarn.

Vorspinnsaal 1950, Vorspinnmaschine der Firma Seydel, Bielefeld; Foto: Stadtarchiv Bielefeld

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Die in der Karderie erzeugten Wergbänder wurden in der gleichen Weise verarbeitet wie die Flachsbänder aus der Anlegemaschine. Jedoch waren Wergfaser-Garne grober und ungleichmäßiger als die aus Langfasern. Die eigentliche Fein- oder Nass-Spinnerei fand im Hauptgebäude der Spinnerei statt.

Historisches Museum

Das 1944 durch Bombentreffer mitsamt allen Maschinen zerstörte und zwischen 1948 und 1951 wieder errichtete Sheddachgebäude gemahnt an das industrielle Erbe der Leineweberstadt. So lag es bei der Umnutzung des Gesamtgeländes nahe, in diesen Räumlichkeiten den neuen Standort für das Historische Museum einzurichten und den Schwerpunkt auf die Industriegeschichte der Stadt zu setzen.

Blick durch ein Fenster des Hauptgebäudes auf das Sheddach des Historischen Museums; Foto: Buchwald

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1994 konnte das Historische Museum die renovierten denkmalgeschützten Gebäude beziehen und dort auf mehr als 2000m² seine Dauerausstellung präsentieren. Die Geschichte der Bielefelder Textil-, Wäsche- und Bekleidungsindustrie bildet naturgemäß einen starken Schwerpunkt der Ausstellung. Historische Maschinen – wie etwa der Jacquardwebstuhl – erwachen in Maschinenvorführungen wieder zum Leben. Alle Schritte der Leinenproduktion können anschaulich nachvollzogen werden. Die Nachfolgeindustrien der Leinenindustrie – wie Nähmaschinen- und Veredelungsindustrie – werden mit originalen Ausstellungsobjekten genauso präsentiert wie Zeugnisse der Arbeiterkultur und des Bürgertums. Der Eingang ins Museum liegt zwischen der ehemaligen Schlosserei, die heute als großer Vortragssaal mit Büros im oberen Stockwerk genutzt wird, und den Sheddachhallen.

Links die Alte Schlosserei; im Bildhintergrund rechts das glasüberdachte „Gässchen“ zwischen Daueraustellung und Karderie; Foto: Buchwald

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Die alte Fabrikstraße zwischen der Sheddachhalle und der ehemaligen Karderie wurde zwischen 1992 und 1994 entkernt und 1995 großflächig verglast. So entstand das „Gässchen“, das die Dauerausstellung mit der Karderie verbindet. Seit 1995 werden in der Karderie thematisch wechselnde Sonder-Ausstellungen geboten. 1995 erhielt das Historische Museum den international renommierten Dibner Award für „die weltweit beste Darstellung der Industrialisierung und ihrer Sozialgeschichte“ sowie 1997 den Europäischen Museumspreis.

Lesetipps
  • Cornelia Foerster (Hg.): Historisches Museum Bielefeld. Ein Führer durch das Museum, Bielefeld 1994.
  • Bernd Hey u.a. (Hg.): Geschichtsabläufe. Historische Spaziergänge durch Bielefeld, Bielefeld 1990, S. 133–141.
  • Peter Obbelode, Andreas Beaugrand: „Vom Fabrikschloß zur Kulturfabrik. Die Umnutzung der alten Ravensberger Spinnerei“, in: Andreas Beaugrand (Hg.), Stadtbuch Bielefeld. Tradition und Fortschritt in der ostwestfälischen Metropole, Bielefeld 1995, S. 318–329.
  • Dirk Ukena, Hans J. Röver (Hg.): Die Ravensberger Spinnerei – Von der Fabrik zur Volkshochschule, Bielefeld 1989.
  • Leben und Arbeiten in der Fabrik. Die Ravensberger Spinnerei von 1850 bis 1972, Ausstellungskatalog, Bielefeld 1986.

Homepage des Historischen Museum Bielefeld

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