Museum Wäschefabrik

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Erbaut 1912/13 als Wäschefabrik Juhl & Helmke, seit Mai 1941 Vereinigte Wäschefabriken Th. und G. Winkel, ist diese für die Leineweber-Stadt so typische Fabrikationsstätte seit 1997 ein Museum. Von den einst über 200 Wäschefabriken und -geschäften in Bielefeld blieb nur diese eine mit dem gesamten Inventar im Originalzustand erhalten.

Museum Wäschefabrik; Foto: Axel Grünewald

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Die Geschichte der Wäschefabrik
Vereinigte Wäschefabriken Juhl & Helmke

Die Wäschefabrik ging aus einem 1872 gegründeten Bielefelder Aussteuergeschäft von Moritz Dahl hervor, das die ehemaligen Angestellten Hugo Juhl und Max Helmke nach dessen Tod im Januar 1900 von der Witwe übernahmen – seit 1907 unter dem Namen Vereinigte Wäschefabriken Juhl & Helmke. 1912/13 ließ Hugo Juhl ein neues Fabrikgebäude mit Unternehmerwohnung an der Viktoriastraße 48a errichten. Dort wurde die ganze Palette der Aussteuerwäsche gefertigt: Bett- und Tischwäsche, Nacht- und Unterwäsche sowie Herrenhemden und Damenblusen. Bis zur Weltwirtschaftskrise wuchs die Firma, so dass Juhl 1922 weitere Produktionsräume im Eckhaus Heeper Straße 48 und Viktoriastraße 65 in Betrieb nehmen konnte. 1924 avancierte die Firma zum zweitgrößten Damenwäsche- und viertgrößten Herrenwäsche-Hersteller Bielefelds. Das Unternehmen fand damit auch Eingang in das Buch der Stadt Bielefeld von 1926, wo die technische Einrichtung als „neuzeitlich und mustergültig“ charakterisiert wurde. Infolge der Weltwirtschaftskrise wurde ab 1928 jedoch nur noch im Gebäude Viktoriastraße 48a gefertigt.

Foto der Fabrikanlagen Juhl & Helmke im Buch der Stadt Bielefeld von 1926

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Bis auf den Schwiegersohn überlebte die jüdische Familie Juhl den Nationalsozialismus nicht. Zwischen 1933 und 1937 gaben unter dem Druck der antisemitischen Politik in Bielefeld 56 jüdische Unternehmer auf. Nach Mitte 1939 gab es in Bielefeld keine Gewerbebetriebe mehr in jüdischem Besitz. Auch Hugo Juhl verkaufte im März 1938 seine Firma an die Brüder Winkel aus Dresden. Tochter Hanna war bereits 1933 mit ihrem Verlobten Dr. Fritz Bender in die Niederlande emigriert. Nach Hugo Juhls Tod am 10. Juni 1939 zogen Witwe Klara und Tochter Mathilde zu Hanna und Fritz Bender nach Amsterdam. Als die Deutschen im Mai 1940 die Niederlande besetzten, gelang nur Fritz Bender die abenteuerliche Flucht in einem Ruderboot. Hanna und ihre kleine Tochter Marianne sowie Mathilde und Klara nahmen sich im Juli 1940 das Leben. Fritz Bender wurde in England und Kanada interniert und lebte nach dem Krieg in Ottawa, Kanada.

Stolpersteine für Hanna Bender, Mathilde und Klara Juhl 2010; Foto: Buchwald

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Vereinigte Wäschefabriken Th. und G. Winkel

Die Käufer der Wäschefabrik Theodor und Georg Winkel waren als Verleger katholischer Schriften bereits mit der NS-Pressepolitik in Konflikt geraten und hofften auf ein zweites Standbein in der Wäscheproduktion. Als gänzlich Branchenfremde betrieben sie das Unternehmen von Dresden aus, bis sie 1948 mit ihren Familien nach Bielefeld in die Unternehmerwohnung zogen. In der Zeit des deutschen Wirtschaftswunders florierte die Fabrik mit Aussteuer- und Leibwäsche, Blusen und Hemden. Aus- und Umbauten wurden möglich. 1959 ließen die Winkels einen neuen Nähsaal an das alte Betriebsgebäude anbauen, der aber nicht mehr als solcher genutzt wurde.

Werbekarte mit neuem Nähsaal um 1960; Archiv Museum Wäschefabrik

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Der seit Mitte der 1960er Jahre immer stärkere Rückgang der Wäsche- und Bekleidungsindustrie in der Bundesrepublik erfasste auch diese Wäschefabrik. Nach 1962 blieb jegliche Neuinvestition im Nähsaal aus. Ab 1969 überstieg der Umsatz mit zugekaufter Handelsware den Umsatz durch selbst produzierte Produkte. Mit dem Tod von Georg Winkel 1981 wurde der Gewerbebetrieb eingestellt. Theodor Winkel blieb bis zu seinem Tod 1990 in seiner gewohnten Umgebung.

Werbematerial aus den 1950er Jahren; Archiv Museum Wäschefabrik

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Fabrik wird Denkmal

1986 entdeckte der Bielefelder Fotograf Peter Wellmer die Fabrik im Dornröschenschlaf. Engagierten Bielefeldern war schnell klar, dass es diesen historischen Schatz unbedingt zu erhalten galt. 1987 wurde das Gebäude mit dem gesamten Inventar unter Denkmalschutz gestellt. Dem Förderverein Projekt Wäschefabrik e.V. gelang es 1993, die Fabrik mit Mitteln der NRW-Stiftung zu kaufen, eine Museumskonzeption zu entwickeln und 1997 das Museum Wäschefabrik zu eröffnen. Im Jahr 2000 erhielt der Förderverein für den sensiblen Umgang mit dem Denkmal die „Silberne Halbkugel“, den höchsten Denkmalschutzpreis in Deutschland.

Geschichte lebendig erhalten

Um die fast ausgelöschte jüdische Geschichte wieder erfahrbar zu machen, nahm der Förderverein Kontakt zu Fritz Bender, dem Schwiegersohn Hugo Juhls in Kanada auf. Im Jahr 2000 erzählte er das Schicksal seiner Familie vor einem Kamerateam. Diese Filmaufnahmen sind im Eingangsbereich des Museums zu sehen und holen ein Stück jüdischer Geschichte Bielefelds wieder in die Gegenwart zurück.

Fritz Bender im Nähsaal am 6. Juli 1994; Foto: Rainer Geue

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Das erklärte Ziel des Fördervereins, durch den Erhalt des Gebäudes und die Dokumentation von Zeitzeugenerzählungen die Geschichte der Bielefelder Wäsche- und Textilindustrie lebendig zu erhalten, wird nicht nur durch die jährlichen Treffen mit ehemaligen Mitarbeiterinnen der Wäschefabrik weiter verfolgt. Forschungsprojekte und Wechselausstellungen lenken den Blick auf sozialgeschichtliche Themen von Architektur bis zu Bildern der Arbeit. Damit das Wissen um die historischen Produktionstechniken nicht verloren geht, präsentieren erfahrene Näh- und Stickerinnen regelmäßig den Umgang mit den historischen Maschinen.

Wer heute durch die Tür des Kontors tritt, begibt sich auf eine Zeitreise: Wie unter einer Glasglocke ist die Geschichte des Unternehmens konserviert. Das Museum macht Sozial- und Technikgeschichte greifbar und sogar riechbar. Im Musterraum liegen die alten Stoffe und Musterbücher verschiedener Zeiten aus. In der Firmenverwaltung steht von den Kundenkarteien bis zur Schreib- und Buchungsmaschine alles an Ort und Stelle. Das Herzstück ist der historische Nähsaal: Er ist mit seinen Kraftarbeitstischen und über 50 Näh- und Spezialmaschinen einmalig in Deutschland.

Blick in den Nähsaal 2010; Foto: Michael Rauscher

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Lesetipps
  • Förderverein Projekt Wäschefabrik (Hg.): Museum Wäschefabrik. Zeitreise in ein Stück Bielefelder Industriekultur, Bielefeld 2012.
  • Katja Roeckner: „Das Beispiel der Bielefelder Wäschefabrik Juhl & Helmke/Th. u. G. Winkel“, in: Jupp Asdonk, Dagmar Buchwald, Lutz Havemann, Uwe Horst, Bernd J. Wagner (Hg.): „Es waren doch unsere Nachbarn!“ Deportationen in Ostwestfalen-Lippe 1941–1945, Essen 2014, S. 153–160.

Homepage des Museum Wäschefabrik

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